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Review zu #5 – In fremden Stimmen

„[2]
Zum Geleit oder …
Wie? Wie beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich als ich beginnen? Ist Ich-Sagen hier überhaupt von Belang? Ändert sich etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen? Ändert sich vielleicht sogar etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen?

[1]
Anfangen.
Pause.
Oder?
Längere Pause.

[2]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Ich fange jetzt an. Ich. Oder …
Wer?
Doch nicht irgend-wer.
Etwa irgend ein FREMD-Wer?
Längere Pause zum Nachsinnen.

[1]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Jetzt fange ich an.
Dabei habe ich schon längst angefangen.
Fremd-WerdEN.

[…]

[2]
[…] Wie wichtig ist es, sich mit Fremdheit auseinanderzusetzen? How important is it to deal with foreignness / strangeness?

[1]
Southern trees bear strange fruit
Blood on the leaves and blood at the root
Black bodies swinging in the southern breeze
Strange fruit hanging from the poplar trees

[3]
Ich glaube, für mich ist das keine Frage von Wichtigkeit oder Unwichtigkeit, sondern es wird Alltag einfach dadurch, dass ich so oft mitbekomme als Fremd gelesen zu werden in Räumen wo ich der Ansicht bin, dass ich dahin gehöre. Deshalb ist das keine Auseinandersetzung, die ich mir irgendwann gesucht habe, weil das Thema spannend ist. Es ist ein universales Thema, das immer irgendwie mitschwingt.

[2]
Politisch wichtig: Weil Fremdheit diskursiv in der Regel so konstruiert ist, dass sie mit Abwehr konnotiert ist. Aber in dem, was ich tue, arbeite ich mit dem Begriff normalerweise nicht. Mich beschäftigen Praxen, Körper, Improvisation, Tanz. Und da geht es immer wieder um Sachen wie: was kann ich wahrnehmen, auf was richte ich meine Aufmerksamkeit, was kann ich mit dem tun, was in meine bewusste Wahrnehmung eintritt. Man könnte sagen, es geht gerade nicht darum zu befragen oder festzulegen, ob oder wie fremd das ist, was ich gerade in mir und um mich wahrnehme. Das Interessante ist stattdessen, was ich mir überhaupt sinnlich zugänglich machen kann, was ich imaginieren oder erinnern oder gedanklich differenzieren kann. Das ist dann das Material, mit dem ich künstlerisch umzugehen versuche. Das ist, wie wahrscheinlich jeder künstlerische Prozess oder wie überhaupt jeder längere intensive Prozess, ein komplexes Tun und eine vielschichtige Erfahrung, in dem ich mir immer wieder Fremdes vertrauter mache, und Vertrautes fremd mache. Ein dauerndes Zooming-in und Zooming-out, und Perspektivwechsel.

[1]
Ganz wichtig. Wichtig, wenn man Frieden mag. Wichtig, um mit Menschen kommunizieren und sich unterhalten zu können.

[3]
Das [Fremd]-Werden artikuliert Antworten auf die Frage, was nach dem Subjekt kommt, und beschreibt dafür weder ein Ergebnis oder einen erreichten Zustand noch eine nachahmende Annäherung an etwas Bestimmtes. Stattdessen zielt das [Fremd]-Werden auf eine unbestimmte Bewegung der Deterritorialisierung: Das Subjekt verlässt den Ort der Identität und faltet sich in eine nomadische, rhizomatische Zone, in der Differenz nicht durch Identität vorgebildet ist. [Fremd]-Werden ist also Mittel und Möglichkeit nicht-identitären Denkens.

[…]

[2]
Übst Du Dich etwa nicht im Fremd-Werden?

[3]
Okay. Hm. Ja. Wir üben das Fremd-Werden, aber wie geht das wirklich? Schwierige Frage. Nächste Frage. Was würdest du dir von einer Fremdheitsforschung versprechen? What do you expect from a research on foreigness / strangeness?

[1]
Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewußtsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen. Momente der abendländischen Geschichte, in denen der Fremde gedacht, in denen er aufgenommen oder zurückgewiesen worden ist, aber in denen innerhalb des Horizonts einer Religion oder Moral auch die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Fremde erträumt werden konnte.

[2]
I-I-I-I Things have never been stranger
I-I-I-I Things are gonna stay strange
I-I-I-I I remember life as a stranger
I-I-I-I But things change

[1]
If you study it enough to actually make a language that describes certain kinds of strangeness. Then you can communicate about an agreed terminology of strangeness. And then you can see how strange that is.

[3]
Wenn es dennoch gelänge, zu Fremdheit entrungenen Erkenntnissen zu kommen, dann könnten wir vielleicht etwas darüber erfahren, wieso wir uns in unserer Welt so fremd sind, dass wir diese Welt und uns mit ihr so gründlich vernichten können. Jetzt hat ein Wir mein Ich kaputt gemacht.

[2]
Gegenfrage: Bedenke ich, bedenken wir in dekonstruktivistischen An- und Einsätzen zu wenig die problematischen Nebenwirkungen von Identitätsdekonstruktionen?

[1]
Wenn ich bedenke … wie lange schon … da frag ich mich … was wohl aus dir geworden wäre … ohne mich … […] Es ist zuviel für einen allein. Andererseits, was nützt es, gerade jetzt den Mut zu verlieren, das sage ich mir auch. Man hätte vor einer Ewigkeit daran denken sollen […].

[2]
Die Welt neu lesen [relire]: ihre disparaten Stücke anders verbinden [relier], ihre Zerstreuung neu verteilen, was eine bestimmte Art und Weise ist, diese Zerstreuung zu orientieren und zu interpretieren, gewiss, aber auch sie zu respektieren, sie neu zusammenzusetzen [remonter], ohne zu glauben, sie dadurch zusammenzufassen [résumer] oder auszuschöpfen.

[1] Und lässt sich Fremdheit wirklich bearbeiten oder erforschen? Is it possible to ‚work‘ on or examine foreigness / strangeness?

[2]
I would prefer not to.

[…]

[2]
Grenzüberschreitungen können dazu dienen, die eigenen Erfahrungen in der Begegnung mit Fremdem zu erweitern und zu relativieren, denn wer nur das Eigene kennt, kennt auch das Eigene nicht. Kenntnis bedarf des Wissens um das Andere: das eigene Andere, das Eigene des Anderen, das Andere des Eigenen. Seine eigene Grenze darf ihm nicht fremd bleiben.

[1]
Das ist eine sehr gute Frage. Ich möchte sie nicht durch eine Antwort verderben.

[…]

[3]
Schade, aber auch gut. Natürlich. Vielen Dank. Was mich jetzt noch interessieren würde ist, wie euch Fremdheit das erste Mal als Begriff begegnet? In which way did you come across the term foreigness / strangeness for the first time?

[2]
Die Frage muss sein: „An welcher Stelle hat etwas mit mir zu tun?“

[3]
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus.

[…]

[1]
Und was bedeutet Fremdheit für deine Arbeit? What does foreigness / strangeness mean for your work?

[2]
Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf,
doch mit italienischer Abstammung wuchs ich hier auf.
Somit nahm ich Spott in kauf
in dem meinigen bisherigen Lebensablauf.
Politiker und Medien berichten ob früh oder spät
von einer „überschrittenen Aufnahmekapazität“.
Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht,
dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät,
somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt,
dass für ihn eine grosse Gefahr entsteht
er sie verliert, sie ihm entgeht,
seine ihm so wichtige deutsche Lebensqualität,

[1]
Pastoral scene of the gallant south
The bulging eyes and the twisted mouth
Scent of magnolias, sweet and fresh
Then the sudden smell of burning flesh

[2]
Mhm. What’s the question? (…) I wish my music was on that show „Stranger Things“. Do you know that show?

[3]
… das Risiko des Antwortens. Dieses hat keine eigene Identität an sich, sondern ist notwendig imperfekt und antwortet auf das Begehren eines anderen, wenn auch nur um der Abspaltung der Rede von sich selbst willen.

[2]
Prozesse der Reproduktion, der Zeugung, der Abstammung, der Wanderung, der Zirkulation, des Austauschs, der Diffusion …

[1]
In den Theatern existiert eine unhinterfragte, eingeübte Praxis.
Was ich […] gelernt habe, ist, vor allem diese Praxis in Frage zu stellen.

[3]
Das Bewußtsein, das aus dem Irrsinnsschmerz auftaucht, ist nicht mehr das frühere, und die gefolterte Sprache, mit der es sich finden muß, ist ihm fremd. … Die nach dieser Sprache fahnden wollen, müßten aber wohl ein beinah vollkommenes Schwinden ihres Selbst-Gefühls, ihres Selbst-Bewußtseins ertragen können, weil ja all die Muster, in denen zu reden, zu erzählen, zu denken und zu dichten wir gewöhnt sind, nicht mehr verfügbar wären. Sie würden wohl erfahren, was es wirklich heißt: die Fassung verlieren.

[1]
Fremdes […] ist nicht bloßer Gegenstand des Verstehens und Interpretierens, sondern deren permanentes Movens.

[…]

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#5 In fremden Stimmen

Pressekonferenz & Zwischenspiel

MIT

Arne Vogelgesang, Bernhard Waldenfels, Bridge Markland, Dana Soubh, Franz Kafka, Gayatri Chakravorty Spivak, Georges Didi-Huberman, Henrike Schmidt, Herman Melville, John Cage, Lara Chahal, Marina Miller Dessau, Michelle Bray, Miriam Haller, Susanne Martin und Walter Benjamin u.a.

REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES #5 – Fragen als eine wichtige Methode der Fremdheitsforschung – Fragen Raum Position – Vorlesung – wer spricht – hierbei geöffnet für Fragen an die Sprechenden…

Diese Veranstaltungen finden statt im Rahmen des Netzwerks Kritische und Weltoffene Universität.

Gefördert von: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

Weitere Informationen:

http://theaterwissenschaft.gko.uni-leipzig.de/index.php?id=323
https://reihenweisefremdstrangeinseries.wordpress.com/ueber/
https://www.facebook.com/reihenweisefremd.strangeinseries.9

#4 Fremde Ver|Andern

Eine Vorschau mit Miriam Haller und Susanne Martin

Wie geht es dir gerade?

MH: Anders. Es geht mir anders als lange Jahre zuvor. Mit dieser Formulierung versuche ich, meine eigenen Positiv-Negativ-Wertungen darüber, wie es mir geht (à la „Es geht mir gut. Es geht mir schlecht. Es geht mir besser oder schlechter“), in ihrem Geltungsanspruch einzuklammern. Im Spanischen wird übrigens das ‚es‘ in der Frage weggelassen. Dort heißt es „¿Cómo andas?“, übersetzt ins Deutsche: „Wie gehst Du?“. Die Bewegung des Gehens mit dem Befinden zu verbinden, finde ich schön und hilfreich: Ich gehe anders.

Ich habe mich ver-andert oder – um Arthur Rimbauds Diktum „Ich ist ein Anderer“ aufzugreifen –: Ich habe das Gefühl, eine Andere zu sein, auch wenn ich mich noch wiedererkenne und ich hoffe, Ihr mich auch.

 

Wie ist dir Fremdheit das erste Mal als Begrifflichkeit begegnet?

SM: Keine Ahnung, hier eine spontane Assoziation:

Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh‘, –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.

Wilhelm Müller, aus Winterreise, Franz Schubert

 

Wie wichtig ist es, sich mit Fremdheit auseinanderzusetzen?

SM: Politisch wichtig: Weil Fremdheit diskursiv in der Regel so konstruiert ist, dass sie mit Abwehr konnotiert ist. Aber in dem, was ich tue, arbeite ich mit dem Begriff normalerweise nicht. Mich beschäftigen Praxen, Körper, Improvisation, Tanz. […] Man könnte sagen, es geht gerade nicht darum zu befragen oder festzulegen, ob oder wie fremd das ist, was ich gerade in mir und um mich wahrnehme. Das Interessante ist stattdessen, was ich mir überhaupt sinnlich zugänglich machen kann, was ich imaginieren oder erinnern oder gedanklich differenzieren kann. Das ist dann das Material, mit dem ich künstlerisch umzugehen versuche. Ich habe während meiner PhD Dissertation jahrelang Fragen des Alter(n)s zu meinem künstlerischen Thema und Material gemacht. Das ist, wie wahrscheinlich jeder künstlerische Prozess oder wie überhaupt jeder längere intensive Prozess, ein komplexes Tun und eine vielschichtige Erfahrung, indem ich mir immer wieder Fremdes vertrauter mache und Vertrautes fremd mache. Ein dauerndes Zooming-in und Zooming-out und Perspektivwechsel. Macht es etwas mit meiner Bewegung, wenn ich mir ein bestimmtes Alter vorstelle? Hat der kleine sehr konkrete körperliche Schmerz in meiner rechten Schulter etwas mit Altern zu tun? Werden bestimmte Bewegungen, Verhaltensweisen, ästhetische Präferenzen mit zunehmendem Alter unpassend oder peinlich?

Damit geht es in dieser Arbeit eher um Prozesse, in denen es um die Herstellung von etwas „Normalem“ und dessen „Abweichungen“ geht, um das, was als kulturell angemessen, und das, was als kulturell unangemessen gilt. Was gilt altersbezogen als angemessen, was als unangemessen? Ich verstehe das als eine Art der praktischen Dekonstruktion. Das heißt, ich nutze meinen eigenen Körper, mein Erleben, um die Grenzziehungen und deren Herstellungsprozesse zu verstehen und sie auch auf der Bühne sichtbar zu machen.

MH: Die Auseinandersetzung mit dem subjektiv als fremd Erscheinenden birgt meines Erachtens die Möglichkeit von Bildungsprozessen. Ich schließe damit an ein Bildungsverständnis an, das Bildung als Transformationen von grundlegenden Figuren oder Kategorien des Welt- und Selbstverhältnisses sowie des Verhältnisses zu anderen Menschen sieht (Rainer Kokemohr, Hans-Christoph Koller). Bildungsprozesse lassen sich aus fremdheitstheoretischer Perspektive aber auch als Prozesse der Selbstentfremdung und Dezentrierung verstehen oder mit Norbert Ricken im Anschluss an Foucault als ein Anderswerdenkönnen.

Wenn Simone de Beauvoir schreibt, „erkennen wir uns in diesem alten Mann, in jener alten Frau“, so lässt sich das als Aufforderung lesen, die Fremdheit des Alters zu überwinden und uns, auf ältere Menschen blickend, selbst als Alternde zu erkennen und anzuerkennen.

Unter „Ageing trouble“ verstehe ich nicht nur Figurationen der Subversion restriktiver sozialer Altersidentitätsnormierungen, sondern ganz allgemein die Performanzen alternder Selbst(de)konstruktionen: wie das performative Selbst mit seinen älteren und jüngeren ‚Ichs‘ in einen andauernden gegenseitig zitierenden und re-iterierenden Dialog eintritt. Diese älteren und jüngeren ‚Ichs‘ sehe ich nicht als statische Identitätskonstruktionen, mit denen es sich zu identifizieren gälte – so wie das bei Simone de Beauvoir anklingt –, sondern als viele und vielfältige, fluide, ältere und jüngere, älter und jünger werdende Anteile auf der Bühne eines performativen Selbst.

 

Wie verhältst du dich zu Fremdheit als akademische Kategorie?

MH: Ich versuche gerade, mich ihr anzunähern. […]

Auf den ersten Blick finde ich eine Unterscheidung zwischen Alterität (als übersetzbare Andersheit, die auf einer Ähnlichkeitsunterstellung zwischen Ego und Alter Ego beruht) und Alienität (als radikale Andersheit) interessant und hilfreich. Ich nehme an, dass der Mainstream der Kulturwissenschaften versucht, Fremdheit als Alterität zu untersuchen, d.h. das Fremde in Begriffe des Eigenen zu übersetzen. Zu diesem Ansatz gehört meines Erachtens die Frage nach einem „vermeintlich Fremden“, das mit einem ‚irgendwie anders‘ gearteten „Eigenen“ abgeglichen und vermittelt wird.

Damit riskiert man aber meines Erachtens, das Opake, das unverständliche und unübersetzbare Rätsel des Fremden aus dem Blickfeld auszuschließen. Aus einer Sichtweise, die von einer radikalen Andersheit ausgeht, kann vielleicht manches gesehen werden, das aus der Perspektive der Ähnlichkeitsunterstellung heraus gar nicht zugänglich ist. Es gibt Unübersetzbares. Das würde mich interessieren.

Ein Beispiel: Ich habe in den letzten beiden Jahren meiner Krankheit und Beurlaubung gemeinsam mit meinem Mann weite Reisen unternommen. Im letzten Jahr waren wir auf Bali zu Gast bei einer Familie, die mich zu einer dreitägigen Massenkremationszeremonie ihrer Gemeinde eingeladen hat. Eine Tante war gestorben. Als ich – besorgt über die nur wenigen Worte Balinesisch, die ich spreche, – fragte, was denn eigentlich „Hello“ auf Balinesisch heißen würde, dachte mein Gastgeber lange nach und sagte irgendwann: „Hello“. Ich stutzte und fragte: „Gibt es auf Balinesisch kein Wort für ‚Hello‘?“

„Nein“, antwortete unser Gastgeber und dachte wieder nach: „Ich glaube, wir brauchen keines. Wir sehen uns in der Großfamilie ja ständig. Wir brauchen uns nicht zu begrüßen.“ Diese Unübersetzbarkeit ist für mich ein Beispiel für radikale Fremdheit.

 

Was bedeutet Fremdheit für deine Arbeit?

SM: Ich erforsche nicht Fremdheit; ich glaube, ich erforsche vielmehr den Prozess des Sich-Vertraut-Machens. Also das, was sich am Ende im Habitus widerspiegelt oder besser, ihn ausmacht. Habitus ist wiederum das, wonach ich mich orientiere, mein „Orientierungssinn“. Das geht in den Geschmack, in meine Form des Denkens, des Fühlens ein, in die Art, wie ich meinen Körper erfahre und wie ich intuitiv körperlich agiere. Aber ich frage eben eher danach, wie es kommt, dass sich etwas vertraut anfühlt, und weniger danach, was sich fremd anfühlt. Aber die Verbindungen bestehen natürlich.

MH: Bisher als Begriff wenig. Wie geschrieben: Ich beginne, darüber nachzudenken.

#4 Dance|ing Stage|ing Age|ing

Danced Lecture & Gespräch

Unter dem Titel „Dance|ing Stage|ing Age|ing“ widmet sich die Forschungsreihe diesmal der Fremdheitsfigur Alter(n). Hierzu treffen sich Susanne Martin, Choreographin, Tänzerin und Tanzforschende, und Miriam Haller, Kulturwissenschaftlerin und Kulturgeragogin – zwei Forscherinnen mit langjähriger und jeweils sehr spezifischer Expertise in Bezug auf Alter(n)sfragen. Im Format der Danced Lecture entwickelt Susanne Martin seit Jahren performative Strategien der Aneignung und des Sich-Befremden-Lassens. Miriam Haller interessieren ihrerseits genau diejenigen, über die üblicherweise geforscht und gesprochen wird und die sie verschiedentlich in ihre eigenen Forschungen mit einbezieht.

Im gemeinsamen Gespräch werden aktuelle Alter(n)sdiskurse kritisch aufgegriffen, indem Stereotype befragt, Narrative aufgebrochen, Erfahrungen angeboten und ‚ver-andernde‘ Perspektiven artikuliert werden. Tanz, Theater, Literatur werden zum Podium für verschiedene, das Alter(n) anerkennende Praktiken.

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GUESTS

Dr. Susanne Martin performt, erforscht und unterrichtet zeitgenössischen Tanz. Sie arbeitet international, kreiert Stücke als Solistin und kollaborativ. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit Improvisation als choreographische Praxis, Narrationen des Alter(n)s, Contact Improvisation und Practice as Research / künstlerische Forschung. Ihre Stücke waren u.a. auf folgenden Festivals eingeladen: Aerowaves (London), International Dance and Theatre Festival (Göteborg), Nottdance (Nottingham), Opera Estate Veneto (Bassano del Grappa), Tanec Praha (Prag). 2017 ist ihre PhD Dissertation Dancing Age(ing) im transcript Verlag erschienen, in der sie das Potenzial improvisationsbasierten Tanzes untersucht, kritisch in unsere Alter(n)skultur zu intervenieren. In ihrem aktuellen Post-Doc-Forschungsprojekt erkundet sie das Potential der Tanzimprovisation im Kontext von Ingenieursstudien.

Dr. phil. Miriam Haller ist Kulturwissenschaftlerin und Kulturgeragogin. Lange Jahre war sie stellvertretende Leiterin, dann Leiterin der Koordinierungsstelle Wissenschaft + Öffentlichkeit sowie des Center for Aging Studies an der Universität zu Köln. Neuerdings hat sie sich ver-andert und arbeitet nun als freie Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind performativitätstheoretische Diskursanalysen des Alters und Alterns, Alterstopoi und Narratologie des Alter(n)s, Ambivalenzen des Alter(n)s, Biographische Übergänge und rites de passage, Generationenbeziehungen und -diskurse, Methoden und Methodologie transdisziplinärer und partizipativer Alternsstudien, Kulturelle Bildung im Alter. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Aufsätze und Publikationen.

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REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES
Eine Forschungsreihe der Juniorprofessur Theaterwissenschaft
#4 Dance|ing Stage|ing Age|ing | Danced Lecture & Gespräch

Susanne Martin & Miriam Haller

9.5.2019 |Probebühne des ITW | Spinnereistr. 7 | Halle 18 Aufgang E | Leipzig

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„Wir beginnen nun mit dem ersten Stream unserer Wissensliturgie: Zum europäischen Bewusstsein“ (Internil, Gog / Magog: Teil IV Europa)

Von Dr. des. Jeanne Bindernagel

Die Arbeiten von Internil lernte ich zu einer Zeit kennen, in der ich mit Theater stark zu fremdeln hatte. Als Grundlage der ökonomischen und intellektuellen Existenz einer Theaterwissenschaftlerin, die ich unter anderem bin, hatten Theater und Theaterdiskurs vormals eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt – und zwar gerade unter der Bedingung, dass auf der Bühne sowohl Parameter gesellschaftlicher Normalität als auch meine eigenen Überzeugungen fraglich (gemacht) wurden. Gewohnheitsmäßig war es für mich ein Genuss, mich im Theater gesellschaftlich und ästhetisch verunsichern zu lassen. Mit Freude konnte ich dort jedes Denkspiel sportlich nehmen, durch das ich zur Infragestellung meiner Ethik und Weltsicht aufgefordert wurde. Ich hatte mich über 15 Jahre intensiv darin trainiert. Doch irgendwann im Jahr 2015 war erst einmal Schluss mit dem Spielen. Die uneingestandene Dialektik der Verunsicherung war aufgekündigt bzw. mir unerwartet drastisch ins Bewusstsein getreten: Der Genuss an der Verunsicherung, die Hin- und Aufgabe der eigenen Deutungshoheit mochten auch deshalb so geliebte Übung für mich als Theaterzuschauerin gewesen sein, weil ich diese außerhalb des eng definierten Raums Theater kaum auszuführen hatte. Ich fühlte mich sehr lange sehr sicher in dem Wissen, dass meine Weltsicht beim Verlassen des Theaterhauses wieder Gültigkeit haben und ich mich gesellschaftlich befähigt fühlen würde. Da tat die kleine philosophische Unterbrechung der eigenen Hegemonie sogar mal ganz gut. Theater muss sein, sagte man bis dahin auch sehr gerne.

Zugegeben, einverstanden war mit der Wirklichkeit auch vor 2015 wohl kaum ein vernunftbegabter und kritischer Mensch. Aber zumindest in der Stoßrichtung der Kritik vermutete man genügend gemeinsamen Boden mit den Anderen. Doch seit meinem Umzug 2015 nach Dresden marschierte über diesen Boden jeden Montag pünktlich um 18 Uhr eine beachtliche Zahl ‚anderer‘ Anderer, mit deren Kritik und Forderungen sich nicht nur kein Gemeinsames fand, sondern die strategische Stärke und unerwartete Aggression darin zeigten, ihre Sicht auf die Straße, in die Institutionen und in kollegiale Beziehungen hinein zu tragen. Dass es Faschist*innen gab, war nicht die Überraschung. Aber ihre Menge, ihre Persistenz und die Treffsicherheit ihrer langfristigen Verletzungen gesellschaftlicher Solidarität waren es doch, wider besseren Wissens. Diese Erfahrung hatte eine Sogwirkung. Anders als im Theater glaubte man sich in dieser Zeit in einer erschreckend realen Erfahrung angekommen. Alle Gespräche hatten ein neues Zentrum, jede Theoriearbeit, jeder ästhetische Genuss eine neue Zielvereinbarung.

Und genau der ästhetische Genuss entwickelte in dieser Situation ein Fremdheitsproblem. Wer hatte denn beim besten Willen überhaupt noch Zeit, sich ins Theater zu setzen? Nicht-weiße Freunde wollten nach sehr unangenehmen Begegnungen bei Dunkelheit nicht mehr allein durch die Stadt gehen und wurden allabendlich an der Tram abgeholt; Infoveranstaltungen wurden organisiert, deren Inhalte und Plädoyers allerdings nur wenige Wochen später von der Wirklichkeit bereits eingeholt wurden, weil es neue Übergriffe gegeben hatte; und alle Bekannten ‚von außerhalb‘ wollten am Telefon überhaupt erstmal verstehen, was denn da ‚bei euch‘ los sei und wann es bei ihnen auch soweit sein würde. Das Theater offenbarte mir in dieser Zeit wenig Werkzeuge, um mit diesen Gegebenheiten umzugehen. Es stand eher im Weg rum, wenn es nicht gerade Treffs für Geflüchtete organisierte.

Diese Erfahrung der Hysterisierung deutscher Gegenwart ist tatsächlich real. Doch einen wichtigen analytischen Zugriff unterschlägt sie: Ihre eigene Theatralität. Diese in die Handlungsoptionen miteinzubeziehen, ermöglichen das Theater bzw. die Performances von Internil. Etwa drei Jahre nach den geschilderten Begebenheiten diskutierte eine Lecture Performance von Arne Vogelgesang in Dresden die Situation vor Ort in theatralen Begrifflichkeiten. Eine Denkmalenthüllung (Oder war es ein Besuch der Kanzlerin? Hier jagt ja ein eskalierendes Großereignis das nächste und eigentlich sind sie alle gleich) war Gegenstand der Analyse. Da trafen Stadtpolitik, organisierter rechter Protestauflauf und bürgerschaftliches Engagement für die Werte der Zivilgesellschaft in einer Art Brechtscher Lehrstücksituation zusammen, inklusive Tableauästhetik, chorischer Untersuchung der öffentlichen Moral und unterschiedlichen gewaltvollen Urteilssprüchen, die im Internet in der Folge der Veranstaltung auf dem Marktplatz ihre Exekution fanden. Arne baute daraus Schaubilder, aus denen frappierend klar hervorging, welche Interessengruppen an derartigen Szenen wie verdienten und sie deshalb mit welchen Mitteln inszenierten. Unmittelbare Erfahrung lässt sich so, begrifflich am Theater orientiert und darin die Gegenwart historisierend, als etwas denken, zu dem man sich auch und gerade wegen der eigenen Involviertheit mit Abstand, nach-denkend verhalten kann. Handeln will man in der Folge nicht weniger als vorher.

Aber in den Performances von Internil verkompliziert sich die Lage erneut und hier kommt die Lust am Spiel für die Zuschauerin zurück. Denn Analyse und Verführung überführen sich hier gegenseitig ineinander. Der aufklärerische Impetus, mit dem sich Wirklichkeit in theatralen Kategorien analysieren lässt, bürgt bei Internil nicht für die Wahrheit. Mag er methodisch auf mich mehr als einmal befreiend gewirkt haben, die Rede von der Welt als Theater ist nicht linken Diskursanalytiker*innen wie mir vorbehalten. Vielmehr ist sie gängiges Narrativ etwa von Verschwöhrungstheorien und deren vielgestaltigen Spielarten. Internil kennt diese nicht nur (man hat bei der Fülle des in ihren Performances bearbeiteten Materials manchmal den Eindruck: Sie müssen jede einzelne davon auf Youtube gefunden und durchgespielt haben!), sondern arrangiert sie auch zu neuen Konstellationen. Spätestens hier ist dann wieder Schluss mit Distanznahme. Zu gefährlich nahe kommen sich in diesem Abgleich die Theatermetaphern marxistischer Theorie, bürgerlichen Kulturdünkels und rechter Allmachtsphantasien, als dass eine saubere Trennlinie einzuhalten wäre. Die Erzählungen werden von Internil ineinander verwoben, Avatare, talking heads und Darsteller*innen mit scheinbar untoten Körpern und verletzlichen Affinitäten zu ihren reenacteten Figuren werden zum Knotenpunkt ungelöster Verbindungslinien. Dieses Theater inszeniert wie eine hysterisierte Suchmaschine: Es fügt zusammen, was sich scheiden will, haut den Zuschauer*innen ihre eigenen moralischen Leitsprüche mit 1000facher Trefferquote um die Ohren und fragt am Ende doch sehr ernsthaft: ‚Was willst du als mündiger Mensch mit diesen Ergebnissen anfangen, welche Schlüsse aus ihnen ziehen? Wie wirst du dieser Ungerechtigkeit und diesem brodelnden Gewaltpotential begegnen? Für Verwirrung bleibt jetzt wirklich keine Zeit!‘ So nehmen die Performances von Internil den veränderten Grundton meiner Alltagserfahrung auf und schreiben ihn um. Es gibt ein Vertrauen zu und eine Freude an ihrem Theater, weil es sich zur Gegenwart präzise und engagiert, aber nicht theaterfeindlich verhält. Und es hat mir mit seinem Heer aus computermodellierten Kunstfiguren und deren Behauptung authentischer Erfahrung die Steilvorlage geliefert, einen Text über ein ‚Ich‘ zu schreiben, das der Welt von Internil entsprungen sein könnte.

Dr. des Jeanne Bindernagel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Hygiene-Museum Dresden und Lehrbeauftragte am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig

#3 internil

 

#3 internil

NUR MEHR BESIEGTE – Postpolitisches Theater in der Kopiermaschine Internet

internil Bild

In den vergangenen Jahren haben sich mit der Entwicklung neuer sozialer Medien auch Art und Ausmaß des politischen Engagements von Bürgerinnen und Bürgern geändert: Defensive „Politikverdrossenheit“ kippt zunehmend in aktive Demokratiefeindlichkeit. Während dabei im Zusammenhang mit dem Internet viel von Echos, Blasen, Kammern und großen Gefühlen die Rede war, wird über die Theatralität dieser Phänomene zumeist eher abschätzig und am Rande gesprochen. Doch gerade die darstellenden Künste sollten aufmerksam beobachten, wo und wie sich das neue politische Theater abspielt und was es sagt.

So feiert auf den Bürgerbühnen der großen Internetplattformen seit Jahren die politische Rede ihr Comeback auf dem Marktplatz der Meinungen: Jede „Expertin des Alltags“ kann auf Facebook zur Chor-Führerin ihrer Follower werden, jeder „Talking Head“ auf YouTube zum politischen Entertainer der Stunde. Gleichzeitig schlägt die Kritik an „denen da oben“ und ihrem (post)demokratischen Repräsentationsanspruch nicht nur als Demonstrationen und „Bürgerinitiativen“ auf die Straße zurück, nicht nur als identitäre Intervention in die „Safe Spaces“ vermeintlicher liberaler Diskurshoheit, sondern auch als episches Realtheater in eine insgesamt sich virtualisierende Wirklichkeit.

Insbesondere die schnell wachsenden Szenen von Reichsbürgern, Verschwörungsgläubigen und Souveränisten versuchen, dem vermeintlichen Theater der demokratischen „Politikdarstellern“ mit seinen eigenen Mitteln den Garaus zu machen. Ihre Reklamierung authentischer Menschlichkeit ist deswegen um so theatraler: Kostümiert mit vermeintlichen Polizeiuniformen, ausgestattet mit erfundenem Geld, legitimiert mit Dokumenten von auf hollywoodesk inszenierten Krönungszeremonien proklamierten Staaten erklären sie den künstlichen Verhältnissen in einer zerrspiegelnden Dauerperformance einen Krieg, der so lange wie absurde Donquichotterie wirkt, bis jemand schießt und jemand anders stirbt.

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Marina Miller Dessau und Arne Vogelgesang beobachten und bearbeiten als Mitglieder des Theaterlabels internil diese Entwicklungen seit mehreren Jahren. Ihr performativer Vortrag geht mittels Beispielen und Nachspielen auf eine Reise von der politischen Egomaschine des Vlogs bis in den post-ironischen Faschismus der neuen rechten Trollfront.

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ABOUT

Der internil Verein zur Untersuchung sozialer Komposition arbeitet seit mehr als dreizehn Jahren kontextbezogen und pseudopartizipativ mit einer großen Bandbreite an Ausgangsmaterialien: Architektur, Graffiti, Musik, Video, Fernsehen, Literatur, Internet. In den letzten Jahren hat sich das Label auf die Aneignung von recherchiertem Internetmaterial spezialisiert, mit besonderem Fokus auf politischen Diskursen und Propaganda.

INTERNIL_FLYER

WEBSITE

facebook-Auftritt

EINDRÜCKE
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REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES
Eine Forschungsreihe der Juniorprofessur Theaterwissenschaft
#3 Marina Miller Dessau & Arne Vogelgesang (internil): Nur mehr Besiegte | Performance Lecture
5.12.2018 | 17 Uhr | Geschwister-Scholl-Haus | Ritterstraße 8-10 | Leipzig

Diese Veranstaltung ist zugleich Auftakt der Reihe GESTISCH LEBEN! preparing BRECHT UNTER FREMDEN, einer Veranstaltungsreihe des Centre of Competence for Theatre (CCT) und des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig in Vorbereitung des internationalen wissenschaftlich-künstlerischen Symposiums BRECHT UNTER FREMDEN / BRECHT AMONG STRANGERS im Juni 2019 in Leipzig.

Diese Veranstaltung findet statt im Rahmen des Netzwerks Kritische und Weltoffene Universität.

Weitere Informationen:

Institut für Theaterwissenschaft Leipzig
GESTISCH LEBEN!

#2 Helena Waldmann

Was steckt hinter der Aussage „Made in Bangladesh“? Zusammen mit zwölf Kathak Tänzern_Innen aus Bangladesch hat Helena Waldmann in den berühmt-berüchtigten Textilfabriken Bangladeshs recherchiert und die Arbeitsbedingungen, die sie dort vorfand, in Tanz umgesetzt. […] Die Füße treten mit den Stichen der ratternden Nähnmaschinen ebenso um die Wette wie ihre Pirouetten mit den Garnspulen. Die schnellen Rhythmen des Kathak-Tanzes machen die Erschöpfung körperlich spürbar. „Ich bin körperlich nicht stark genug für diese Arbeit. Ich erlebe Ausbeutung und Missbrauch.“ Solche und andere Statements von Näher_Innen erscheinen gelegentlich als Projektion auf der Leinwand. Die Tänzerinnen verkünden dagegen ganz anderes ins Mikrophon: „Ich bin stolz, Teil der Modeindustrie zu sein – stolz, unabhängig zu sein.“ Auch das sind Sätze der Näherinnen und es sind genau diese nicht aufgelösten und nicht auflösbaren Ambivalenzen, die Helena Waldmann bei den Recherchen herausgefiltert hat und auf der Bühne nebeneinander stellt. Denn was für die eine Näherin Ausbeutung darstellt, bedeutet für die andere einen ersten Schritt zur finanziellen Unabhängigkeit.
Die Analogie zum europäischen Kulturbetrieb mit seinen selbstausbeuterischen Strukturen – im zweiten Teil des Stücks – spitzt das weiter zu. […]
„Made in Bangladesh“ ist ein starkes, unbequemes Stück und in seiner Konsequenz und Körperlichkeit genau das richtige Mittel, den rasenden Arbeitsverhältnissen der Gegenwart künstlerisch Ausdruck zu geben.

ZUM STÜCK


Helena Waldmann ist eine der bedeutendsten freien Tanzregisseurinnen des europäischen Gegenwartstheaters. Ihre Choreographien entstehen und touren weltweit. Die Themen ihre Arbeiten reichen von der erschreckend anarchischen Freiheit der Demenz (revolver besorgen, 2010) über das lustvolle Spiel mit Abhängigkeiten (BurkaBondage, 2009) bis zum anarchischen Fest gegen die Arbeitsdiktatur der Leistungsgesellschaft (feierabend! – das gegengift, 2008). Zuletzt untersuchte sie mit Tänzern, Akrobaten und 22 Mauerbauern das Ansehen des Passes in Hinblick auf die Bewegungsfreiheit, die er garantiert oder nimmt (Gute Pässe Schlechte Pässe, 2017). Waldmanns Choreographien ziehen im Sinne Brechts Parallelen zwischen sozialen und künstlerischen Bedingungen von Produktion, (Selbst-)Ausbeutung und (unfreiwilliger) Zugehörigkeit zu sozialen oder nationalen Gruppen. Helena Waldmann hat für ihre Arbeiten den Theaterpreis der UNESCO, den IMPULSE NRW Preis sowie zahlreiche Stipendien gewonnen. 2015 wurde sie mit ihrer Produktion Made in Bangladesh für den Deutschen Theaterpreis FAUST nominiert. Im Wintersemester 2018/19 hat sie die Bertolt Brecht Gastprofessur der Stadt Leipzig am Centre of Competence for Theatre der Universität Leipzig inne.

WEBSITE

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REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES
Eine Forschungsreihe der Juniorprofessur Theaterwissenschaft
#2
HELENA WALDMANN: Made in Bangladesh | Screening und Gespräch
22.11.2018 | 19 Uhr | Institut für Theaterwissenschaft | Ritterstraße 16 | Leipzig

presse #1

Bridge Markland – king-ing the drag – drag-ing the king

4.7.2018 | Institut für Theaterwissenschaft Leipzig

„Die rote Haarpracht stammt vom Perückenmacher, lässt sich mit einer Handbewegung vom Kopf schieben und gibt dann eine Glatze frei. Aus der verführerischen Angela ist ein androgynes Wesen entstanden, grünes Kleid, Glatze – Merkmale, die gemäß unserer Alltagserfahrung nicht zusammenpassen. Das irritiert.“

„Eine Frau als schwuler Mann im Frauenkleid. Bridge Markland eröffnet Reihe zu Fremdheitsforschung.“ Von Dimo Riess. In: LVZ vom 6.7.2018. Nr. 155. S.10

Am Anfang der Forschungsreihe steht die „Berliner Drag-Performerin Bridge Markland mit dem berühmten ‚king-ing the drag – drag-ing the king‘. Darin macht sie ihr eigenes Wirken zum Thema, stellt erste Verkleidungsversuche nach, erzählt Anekdoten und zeigt Ausschnitte aus ihre n Kunststücken, die Grenzen der Geschlechter zu verschieben.“

„Fremdeln. Die Theaterwissenschaft erforscht künstlerisch die Inszenierung des Anderen.“ Von Tobias Prüwer. In: kreuzer 7/18

„Die Künstlerin überschreibt ihre Mischung aus Vortrag und Performance ausdrücklich mit dem Wort „unwissenschaftlich“. Was der Forschungsreihe einen erfrischenden Beginn verleiht, jenseits von hermetischem Akademie-Duktus, der mitunter den Weg zu Erfahrung und Intuition verstellt. Gleichzeitig lesen sich ihre Gender-Experimente selbst fast wie wissenschaftliche Versuchsreihen. “

„Eine Frau als schwuler Mann im Frauenkleid. Bridge Markland eröffnet Reihe zu Fremdheitsforschung.“ Von Dimo Riess. In: LVZ vom 6.7.2018. Nr. 155. S.10

„Veronika Darian hat Markland bewusst als Startpunkt gesetzt: ‚Es ist interessant, wie viele Fremdheitserfahrungen Akademiker erleben, wenn eine nackte Markland auf ihren Schoß hüpft. Das findet ja nicht im frivolen Varieté-Rahmen statt. Man kann viel über Fremdheit sprechen, aber das zu erfahren, ist eine andere Sache. Man kann sich ja nicht vornehmen: Heute mache ich mal eine Fremdheitserfahrung.“

„Fremdeln. Die Theaterwissenschaft erforscht künstlerisch die Inszenierung des Anderen.“ Von Tobias Prüwer. In: kreuzer 7/18

„Markland lädt ein, hinter die Kulisse der äußeren Erscheinung und damit hinter
das im eigenen Kopf beheimatete Klischee zu schauen. Was im besten Fall dazu führt,
sich Automatismen bewusst zu machen und zu hinterfragen, auf welche Merkmale
und Signale man wie reagiert. Ihr gehe es, sagt Markland, nie um Provokation, sondern um Verunsicherung. Die Voraussetzung, um den eigenen Blick neu zu justieren und Annäherung an das Fremde zu ermöglichen. Im besten Fall gelingt es Markland, sich selbst zu irritieren, die äußere Wirkung in sich zu spiegeln. „Ich fühlte mich“, beschreibt sie einen Moment, „wie ein schwuler Mann in Frauenkleidern“.“

„Eine Frau als schwuler Mann im Frauenkleid. Bridge Markland eröffnet Reihe zu Fremdheitsforschung.“ Von Dimo Riess. In: LVZ vom 6.7.2018. Nr. 155. S.10

#1
‚drag‘

presse #0 II

Pressekonferenz am 26.6.2018

mit dabei:
Veronika Darian – Juniorprofessorin am Institut für Theaterwissenschaft | Leipzig Initiatorin der Forschungsreihe REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES

Marina Miller Dessau – internil | Verein zur Untersuchung sozialer Komposition | Wien

Bridge Markland – Drag-Performerin | Berlin

Arne Vogelgesang – internil | Verein zur Untersuchung sozialer Komposition | Wien

Julian Warner – HAUPTAKTION | Künstlerische Forschungsgesellschaft| München

Oliver Zahn – HAUPTAKTION | Künstlerische Forschungsgesellschaft| München

 

Fremde Stimmen

„Sechs geladene Gäste, eine Moderation aus dem Off und alle mit derselben Stimme. Die Juniorprofessorin der Theaterwissenschaften der Universität Leipzig hatte für gestern zu einer Art Pressekonferenz geladen – und bot stattdessen eine Performance.“

„Aus Vorlesung wird Performance | Theaterwissenschaftler stellen Forschungsreihe vor“ von Lotta-Clara Löwener. LVZ vom 27.6.2018

FREMDE STIMMEN – review zu #0

 

presse #0

Auf|T|Akt

„Schluss mit Fremdeln. Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig startet Veranstaltungsreihe.“ Leipziger Internet-Zeitung vom 27.6.2018

Artikel

 

„Ich versuche, nicht nur die klassischen wissenschaftlichen Formate, wie Seminarvorträge und Vorlesungen, anzubieten, sondern in meine Lehre verschiedenste Kooperationspartner einzubeziehen – sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Universität. […] Mir ist es dabei wichtig, den Studierenden zu ermöglichen, an gesellschaftlichen Fragen dort zu forschen, wo sie anzutreffen sind. Sie sollen nicht im Elfenbeinturm sitzen und an einer abstrakten Wissenschaft arbeiten. Denn Wissenschaft kann nur betreiben, wer auch rausgeht, sich Sachen anschaut und gemeinsam mit anderen Erfahrungen macht.“

„Künstlerische Forschung bedeutet, dass wir den Studierenden die Möglichkeit bieten, auch künstlerische Zugänge kennenzulernen und auszuprobieren, es geht dabei nicht um Schauspiel- oder Gesangsunterricht. Forschung lässt sich ja nicht nur im wissenschaftlich akademischen Rahmen betreiben. Es ist etwas Anderes, übereinen Text zu sprechen, oder ihn zu sprechen– also auszusprechen und festzustellen, was der Text dann mit einem macht. Diese Erfahrung verändert auch den theoretischen Umgang damit.“

Veronika Darian im Gespräch mit Katalin Valeš

„An gesellschaftlichen Fragen forschen, wo sie anzutreffen sind. Veronika Darian über unkonventionelle Lehrformate in der Theaterwissenschaft.“ LUMAG Das Leipziger Universitätsmagazin vom 25.6.2018