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#11 „Becoming Black“

Film und Gespräch mit der Regisseurin Ines Johnson-Spain

Donnerstag, 1.12.2022 | 17.15 Uhr | Film

Montag, 5.12.2022 | 15.15 Uhr | Gespräch

Großer Seminarraum | Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig | Ritterstraße 16

Ines Johnson-Spain als Kind (2.v.re.) mit ihrer Familie Gundermann bei einem Ausflug © ZDF/​Dr. Armin Gundermann

»In einem Land, in dem jede Abweichung von der Norm als existenzielle Bedrohung angesehen wurde, muss die Geburt eines schwarzen Kindes ein Politikum gewesen sein.« –Ines Johnson-Spain

Ein weißes Ehepaar in der DDR der 60er-Jahre erzählt seiner schwarzen Tochter, dass ihre Hautfarbe Zufall sei. Erst als Jugendliche entdeckt sie zufällig die Wahrheit. Viele Jahre zuvor kommt eine Gruppe Afrikaner:innen zum Studium in die DDR. Sigrid aus Leipzig und Lucien aus Togo verlieben sich. Aber Sigrid ist verheiratet und hat einen Sohn. Als sie von Lucien schwanger wird, zerbricht die Familie zunächst. Doch später wagen sie einen Neustart. Die erstaunlichen Strategien, die das Ehepaar nach der Geburt des schwarzen Kindes im Ringen um „Normalität“ entwickelt, verfolgt der Film aus der Sicht des heute längst erwachsenen Kindes, der Regisseurin Ines Johnson-Spain. BECOMING BLACK ist das intime Porträt einer schwierigen Kindheit in einer Kultur des Schweigens und der Verleugnung. Der Film verdeutlicht, was passiert, wenn das Nichtpassende in einem normierten Umfeld plötzlich sichtbar wird. Auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater bricht die Regisseurin auch zu einer Reise nach Afrika auf, wo sie ihre große togolesische Familie kennenlernt. So entwickelt sich der Film zu einer Reflexion über Zugehörigkeit, soziale Normen, Familienkonzepte und systemischen Rassismus.

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#10 identopologies | Screening & Polylog

Eske Schlüters & Jana Seehusen
zum raum-akustischen Setting time to sync or swim

6.7.2022 | 18 Uhr | Institut für Theaterwissenschaft | Leipzig

Katrin Mayer, Eske Schlüters, time to sync or swim,
GIF in Zusammenarbeit mit Matthias Grottendieck, 2016.

Wenn akustischer und bildlicher Raum nicht mehr in gewohnter Weise zueinanderstehen, uns Geräusche nahe kommen, für die wir kein angemessenes Bild vor Augen haben, und Materialien, die wir in den Händen halten, unsere Sinne auf die Probe stellen, kann dieses Befremden einen Rausch der Empfindungen und Gedanken in Gang setzen, in denen uns das Nicht-Vertraute greifbar nahe kommt und andere Ordnungen anbietet. Auf eine besondere Weise gelingt das der visuell wie akustisch erlebbaren Installation time to sync or swim von Katrin Mayer und Eske Schlüters (2016/17), die zum Ausgangspunkt des polylogischen Screenings identopologies wird.

Den inhaltlichen Fokus bilden Otherkins und Orlandos, die mit ‹anderen› Verwandtschaftsbeziehungen und Identitäten durch das raum-akustische Setting time to sync or swim von Mayer und Schlüters zirkulieren. Als poetologische Probebühne und ebenso vielteiliges wie fragmentarisches Setting umgreift time to sync or swim diverse Materialien, Dinge, Zitate und Medien und lässt (Jahrhunderte querend) ganz verschiedene Arten und Weisen des virtu-realen (Selbst)Erzählens aufeinandertreffen. Zwischen Faktischem und Fiktivem oszillierend, stehen Konzepte von narrating identity und doing gender zur Disposition.

Im polylogischen Screening identopologies verschränken Eske Schlüters und Jana Seehusen audiovisuelle Perspektiven auf time to sync or swim im experimentellen Verweben von Sagen und Zeigen. Als (bildende und schreibende) künstlerisch forschende Praxen einem speaking nearby von Trinh T. Minh-ha verwandt, zeigen sich hierin Möglichkeiten, sich Anderem und Fremdem zu nähern. Es ist eine Haltung des ‹parler tout contre›, ähnlich wie es die Literatin und Filmemacherin Assia Djebar einmal beispielhaft für ein Sprechen in Bezug auf Frauen beschrieb: «Sich nicht anmaßen, ‹für› oder – noch schlimmer – ‹über› Frauen zu sprechen, bestenfalls neben und, wenn irgend möglich, dicht neben ihnen.»

ARTISTS | ESKE SCHLÜTERS ist Künstlerin. Sie interessiert sich für die Bedingungen von Bildern und Erzählungen. In ihren zumeist aus found footage montierten Videoarbeiten verwebt sie unterschiedliche Perspektiven zu nicht-linearen Erzählungen mit verschiedenen Themenschwerpunkten, die erahnen lassen, dass die Geschichte nie abgeschlossen sein wird. Zusammen mit Katrin Mayer entwickelte sie für die Kunsthalle Lingen das akustisch-räumliche Setting „time to sync or swim“ (2016/2017). | JANA SEEHUSEN, Künstlerin und Autorin, arbeitet zu Sprach- und Handlungsweisen des Zwischen, des Dritten und der Verschiebung sowie kulturkritischen Fragestellungen von Un\Sichtbarkeit, Identitätspolitiken und Experimenteller Filmkunst. Mit Fragen nach Praktiken und Figuren feministischer und antirassistischer Kritik, die zwischen Alltag, Popkultur und Diskurs zirkulieren, forscht sie derzeit mit und zu intersubjektiven Denk- und Schnittfiguren (im Feld) künstlerischer Forschung.

#9+ MOBILE ALBANIA | Workshop

Hallo? Kannst du mich hören, wie geht es dir, was machst du?

Das Nebeneinander ist bezeichnend für den öffentlichen Raum, Menschen passieren, halten sich meist nicht mehr als nötig in ihm auf und sind nicht selten über mobile Endgeräte mit diversen Situationen und Gesprächen im Äther verbunden. Sie „stecken im Kabel fest“ und werden zu anwesenden Abwesenden. Wir wollen diesen gewordenen Zwischenort ernst nehmen und die in ihm befindlichen Menschen lokal, untereinander und mit dem Ort verbinden. Zentral ist dabei das Gespräch als Urform der politischen Meinungsbildung und des geteilten Fortkommens. Wie aber kommt diese in einer zunehmend digitalisierten Kommunikation, Informationsweitergabe und Stellvertreterpolitik direkt, beharrlich und unvermutet zustande? Wie verändert sich der Ort, wenn Verbindungen vor Ort aufgebaut werden, welche Gespräche werden geführt und wie prägen die aufkommenden Perspektiven den Ort und das Zusammensein weiter?

Und welche weiteren Kommunikationsformen über das Gespräch hinaus kann es geben, um unterschiedliche Arten der Verbindung aufzubauen? Wir möchten in einer 2-tägigen gemeinsamen Auseinandersetzung das Unfertige, Improvisierte, Direkte als eine öffnende Begegnungssituation in unterschiedlichen, von uns erprobten performativen Praktiken mit euch ausprobieren. Wir möchten gemeinsam Begegnungen zwischen Menschen provozieren, deren Wege sich im Alltag meist nur kreuzen.
Wir werden unseren offenen Zugang in die Stadt, unsere Praxis und Methoden vorstellen, mit dem Anliegen, diese anzuwenden und selbständig in eigene kreative Ansätze zu überführen. Der Vortrag am Donnerstag, den 1.7. um 18.00 Uhr, in dem wir unsere Arbeitsweise vorstellen, dient dem Einstieg in die gemeinsame Workshop-Arbeit.

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12.11. | 14-19 Uhr und 13.11. | 11-18 Uhr

Institut für Theaterwissenschaft | Ritterstraße 16 | Leipzig

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Um Anmeldung wird ab sofort gebeten über darian@uni-leipzig.de, da die Anzahl der Teilnehmenden begrenzt ist. Der Workshop ist kostenlos.

#9 MOBILE ALBANIA | Vortrag

Ein Einblick in die Praxis von Mobile Albania: performative Recherchen und wandelndes Theater im öffentlichen Raum. Was passiert, wenn plötzlich, alltäglich aneinander Vorbeiziehendes, verbunden wird und in einen Austausch miteinander tritt? 

Mobile Albania ist eine Kommunikationsunternehmung, im Zentrum der mobilalbanischen Arbeitsweise steht die Begegnung, deren Poesie und inspirierendes Potential. Die Frage nach gesellschaftlicher Segregation führt das Kollektiv immer wieder auf die Straße, wo es durch Entschleunigung und Irritation des Getriebes Momente des Austausches und Räume für spielerische Auseinandersetzung mit Lebensrealitäten schafft. Oft münden diese in abendfüllenden Kosmologien, die sich zwischen privaten Wohnungen, der Straße und dem Theatersaal entspinnen.

ARTISTS | Seit 2009 bereist Mobile Albania mit verschiedensten Vehikeln den Kontinent der Geschwindigkeit: Straßen, Städte und Landstriche in Deutschland und Europa. Mobile Albania arbeitet als offenes Kollektiv mit verschiedenen Künstlern, Laien und allen Kollidierenden im Stadt- und Straßenraum. Dabei entwickelt es im Unterwegssein immer wieder neue Arbeitsformen, um in einen Dialog mit dem Straßenraum zu treten und ihn im Sinne einer Straßenuniversität als kommunen Ort sowohl künstlerischen Arbeitens als auch des Wissensaustauschs und der Wissensproduktion ernst zu nehmen. Es entsteht ein Theater, das seine Inhalte auf der Straße und aus der Begegnung mit ihren Durchkreuzenden und Bewohnern entwickelt.

Weitere Informationen: www.mobilalbania.de

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11.11.2021 | 18 Uhr

Institut für Theaterwissenschaft | Ritterstraße 16 | Leipzig

#8 Gestische Forschung. Praktiken und Perspektiven

Buchvorstellung

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Nicht Gesten, sondern Gestisches als Vorgang und Prozess, als Disposition und Haltung steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen des hier präsentierten interdisziplinär angelegten Bands. Damit verschiebt sich die Frage nach der Bedeutung von Gesten auf Fragen der Wahrnehmung, Erforschung und Beschreibbarkeit von Gestischem in unterschiedlichen Kontexten. Die Beiträger*innen sowohl des Bandes als auch der Veranstaltung stoßen auf diese Weise inhaltlich wie formal in höchst aktuelle und zudem gesellschaftlich, philosophisch und wissenspolitisch relevante Themenfelder vor.

Für die Vorstellung der verschiedenen Buchabschnitte zu Gestischem im Denken, in Sprache und Aufzeichnung, in architektonischen Situationen, theatralen Praktiken und szenischen Konstellationen nutzen wir den digitalen Raum, in dem wir alle Beteiligten gern zum Zuhören, Zuschauen und auch zum Echo aufs Gehörte und Gezeigte einladen möchten.

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MIT:

Till Boettger, Micha Braun, Veronika Darian, Peer de Smit, Rée de Smit, Fabian Goppelsröder, Melanie Haller, Ulrike Haß, Jessica Hölzl, Angelika Jäkel, Sven Lindholm, Matthias Naumann, Martina Reichelt, Michael Renner, Michael Wehren und Isa Wortelkamp.

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27.1.2021

17 Uhr (s.t.)

https://uni-leipzig.zoom.us/j/2252097550

#7 Autonome Artefakte

Screening & Gespräch

AKINEMA | Göttingen

“Künstliche Intelligenz und humanoide Maschinen, früher ein Thema von Science-Fiction, heute ein wichtiges Forschungsgebiet. Nicht nur philosophisch stellt sich dabei die Frage, nach welchen Kriterien die Maschinen entwickelt werden, die den Menschen optimieren oder gar ersetzen. Was muss eine Maschine leisten und was lieber nicht? Und wie verändert sich dadurch die Wahrnehmung unseres eigenen Körpers?”

https://www.karlstorkino.de/programm/autonome-artefakte/


Mit dem Dokumentarfilm Autonome Artefakte und dem nachfolgenden Gespräch mit den Filmemachern widmet sich die neueste Ausgabe der Forschungsreihe REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES diesmal Formen des Anderen, Fremden, die den menschlichen Körper herausfordern, dessen Physis und Intellekt, seine Anpassungsfähigkeit und Intimität. Im Film wird diese Konstellation zum Ausgangspunkt für eine Reflexion über das Verhältnis von Mensch und Technik, zu der Philosoph*innen, Informatiker*innen und Technikenthusiast*innen befragt werden. Zugleich begibt sich der Film auch methodisch auf eine Expedition zwischen visueller Kommunikation und ethnographischer Recherche.

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GUESTS

Die Filmemacher Johannes Kohout und Janek Totaro sind Kulturwissenschaftlern und Visuellen Anthropologen. Seit 2015 arbeiten sie gemeinsam an den Schnittstellen von Forschung und Öffentlichkeit. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen aller Disziplinen und unter dem besonderen Einsatz von Mitteln ethnographischer Feldforschung entstehen dokumentarische Filme, die auf wissenschaftlichen Kongressen gezeigt und auf Filmfestivals ausgezeichnet wurden.
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AUTONOME ARTEFAKTE

Deutschland, Österreich, Spanien, USA, Schweiz 2019 | Regie: Johannes Kohout & Janek Totaro | 67 min. | Dokfilm | mit Dr. Eduard Kaeser, Prof. Dr. Birgit Beck, Prof. Dr. Eckart Modrow, Daniel Speck, Richárd Nagyfi, Sergi Pieto | dt./engl. Original mit englischen Untertiteln.

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=8UFNL5FXNt8

https://www.akinema.com/autonome-artefakte

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25.11.2020 | 19 Uhr

https://uni-leipzig.zoom.us/j/2252097550

In Kooperation mit der Schaubühne Lindenfels | Leipzig

REIHEN WEISE FREMD @ work|shop

Brand und Rede

Workshop
mit
Marina Miller Dessau & Arne Vogelgesang

Politische Rede will zum Handeln bewegen. Sie mobilisiert Urteile, Haltungen, Emotionen. In ihrer radikalen Form entfacht sie in den Körpern ihrer Adressat*innen das Feuer zum Kampf – sie stiftet an. Was sind die Bedingungen dieser Anstiftung, ihres Gelingens oder Scheiterns, und lassen sie sich nicht nur theoretisch, sondern auch performativ analysieren? Was können uns das Vokabular des Theaters und das Mittel der Nachahmung darüber sagen, wie politische Rede handelt? Welche Situation setzt sie voraus, und welche will sie erzeugen? Wie bewegt sie die Körper und Affekte der sie Führenden und der ihr Folgenden?

Im ersten Workshop innerhalb der Forschungs- und Veranstaltungsreihe REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES werden diese Fragen praktisch an Formen politischer Rede der Gegenwart bearbeitet. Prägnante Beispiele radikal rechter Anstiftungen finden sich nicht nur in öffentlichen Reden auf Kundgebungen und Demonstrationen, Brandreden im Bundestag oder auf Parteiversammlungen, sondern auch in ihrer digital privatisierten Form als Ansprachen in sozialen Netzwerken. Auf dieses Material wird die Methode des Live-Reenactments angewendet, des körperlich-sprachlichen Nachvollzugs von Videodokumenten ‚in Echtzeit‘.

Bei solch technisch angebundenem Wiederholen der ursprünglichen Rede anderer Menschen ergeben sich Reibungen und Differenzen zwischen fremdem Material, eigenem Selbstverständnis sowie den jeweiligen Kontexten, die eine unmittelbare und nuancierte Form der praktischen Untersuchung ermöglichen – weit über die bloße Betrachtung dokumentarischen Materials hinaus. Nach einer Einführung in die Reenactment-Methode soll in kleineren Gruppen an unterschiedlichen Beispielen und Fragestellungen gearbeitet und die Möglichkeiten und Grenzen dieser performativen Untersuchungsform diskutiert werden.

Die Materialsprache wird vorwiegend deutsch sein, die Arbeitssprache deutsch/englisch nach Bedarf.

Um Anmeldung wird ab sofort gebeten über darian@uni-leipzig.de, da die Anzahl der Teilnehmenden begrenzt ist. Der Eintritt ist frei.

GUESTS | Marina Miller Dessau studierte Schauspiel am Mozarteum in Salzburg. Sie beobachtet stark oszillierendes Verhalten von Menschen im Netz, sucht nach körperlichen Übersetzungen fürs Theater und beschäftigt sich mit Hochtechnologie für den performativen Körper. Arne Vogelgesang studierte Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, bastelt mit Internet- & Software-Material und hält Vorträge / gibt Workshops zu radikaler Propaganda. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen machen Arne und Marina als internil recherchebasiertes Performancetheater. Ihre Arbeiten waren eingeladen zum Impulse Theaterfestival und den Schillertagen, erhielten den Bremer Autoren- und Produzentenpreis und wurden im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Im kommenden Jahr werden sie u.a. für das Staatstheater Darmstadt tätig sein.

Mehr: marinadessau.com / vogelgesang.internil.net / internil.net

25.10.2019

11-17 Uhr

Institut für Theaterwissenschaft | Ritterstraße 16 | 04109 Leipzig

# 6 Brand und Rede

Eine Auseinandersetzung
mit
Marina Miller Dessau & Arne Vogelgesang

Politische Rede will zum Handeln bewegen. Sie mobilisiert Urteile, Haltungen, Emotionen. In ihrer radikalen Form entfacht sie in den Körpern ihrer Adressat*innen das Feuer zum Kampf – sie stiftet an. Was sind die Bedingungen dieser Anstiftung, ihres Gelingens oder Scheiterns, und lassen sie sich nicht nur theoretisch, sondern auch performativ analysieren? Und was können uns das Vokabular des Theaters und das Mittel der Nachahmung darüber sagen, wie politische Rede handelt? – Eine Auseinandersetzung mit Marina Miller Dessau und Arne Vogelgesang von internil Verein zur Untersuchung sozialer Komposition.

GUESTS:

Marina Miller Dessau studierte Schauspiel am Mozarteum in Salzburg. Sie beobachtet stark oszillierendes Verhalten von Menschen im Netz, sucht nach körperlichen Übersetzungen fürs Theater und beschäftigt sich mit Hochtechnologie für den performativen Körper. Arne Vogelgesang studierte Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, bastelt mit Internet- & Software-Material und hält Vorträge / gibt Workshops zu radikaler Propaganda. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen machen Arne und Marina als internil recherchebasiertes Performancetheater. Ihre Arbeiten waren eingeladen zum Impulse Theaterfestival und den Schillertagen, erhielten den Bremer Autoren- und Produzentenpreis und wurden im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Im kommenden Jahr werden sie u.a. für das Staatstheater Darmstadt tätig sein.

Mehr: Marina Dessau / Arne Vogelgesang / internil

REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES
Eine Forschungsreihe der Juniorprofessur Theaterwissenschaft
#6 Brand und Rede | Eine Auseinandersetzung mit Marina Miller Dessau & Arne Vogelgesang

25.10.2019 |Institut für Theaterwissenschaft | Ritterstraße 16 | 04109 Leipzig


Eintritt frei!

Weitere Informationen:

Institut für Theaterwissenschaft

Review zu #5 – In fremden Stimmen

„[2]
Zum Geleit oder …
Wie? Wie beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich als ich beginnen? Ist Ich-Sagen hier überhaupt von Belang? Ändert sich etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen? Ändert sich vielleicht sogar etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen?

[1]
Anfangen.
Pause.
Oder?
Längere Pause.

[2]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Ich fange jetzt an. Ich. Oder …
Wer?
Doch nicht irgend-wer.
Etwa irgend ein FREMD-Wer?
Längere Pause zum Nachsinnen.

[1]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Jetzt fange ich an.
Dabei habe ich schon längst angefangen.
Fremd-WerdEN.

[…]

[2]
[…] Wie wichtig ist es, sich mit Fremdheit auseinanderzusetzen? How important is it to deal with foreignness / strangeness?

[1]
Southern trees bear strange fruit
Blood on the leaves and blood at the root
Black bodies swinging in the southern breeze
Strange fruit hanging from the poplar trees

[3]
Ich glaube, für mich ist das keine Frage von Wichtigkeit oder Unwichtigkeit, sondern es wird Alltag einfach dadurch, dass ich so oft mitbekomme als Fremd gelesen zu werden in Räumen wo ich der Ansicht bin, dass ich dahin gehöre. Deshalb ist das keine Auseinandersetzung, die ich mir irgendwann gesucht habe, weil das Thema spannend ist. Es ist ein universales Thema, das immer irgendwie mitschwingt.

[2]
Politisch wichtig: Weil Fremdheit diskursiv in der Regel so konstruiert ist, dass sie mit Abwehr konnotiert ist. Aber in dem, was ich tue, arbeite ich mit dem Begriff normalerweise nicht. Mich beschäftigen Praxen, Körper, Improvisation, Tanz. Und da geht es immer wieder um Sachen wie: was kann ich wahrnehmen, auf was richte ich meine Aufmerksamkeit, was kann ich mit dem tun, was in meine bewusste Wahrnehmung eintritt. Man könnte sagen, es geht gerade nicht darum zu befragen oder festzulegen, ob oder wie fremd das ist, was ich gerade in mir und um mich wahrnehme. Das Interessante ist stattdessen, was ich mir überhaupt sinnlich zugänglich machen kann, was ich imaginieren oder erinnern oder gedanklich differenzieren kann. Das ist dann das Material, mit dem ich künstlerisch umzugehen versuche. Das ist, wie wahrscheinlich jeder künstlerische Prozess oder wie überhaupt jeder längere intensive Prozess, ein komplexes Tun und eine vielschichtige Erfahrung, in dem ich mir immer wieder Fremdes vertrauter mache, und Vertrautes fremd mache. Ein dauerndes Zooming-in und Zooming-out, und Perspektivwechsel.

[1]
Ganz wichtig. Wichtig, wenn man Frieden mag. Wichtig, um mit Menschen kommunizieren und sich unterhalten zu können.

[3]
Das [Fremd]-Werden artikuliert Antworten auf die Frage, was nach dem Subjekt kommt, und beschreibt dafür weder ein Ergebnis oder einen erreichten Zustand noch eine nachahmende Annäherung an etwas Bestimmtes. Stattdessen zielt das [Fremd]-Werden auf eine unbestimmte Bewegung der Deterritorialisierung: Das Subjekt verlässt den Ort der Identität und faltet sich in eine nomadische, rhizomatische Zone, in der Differenz nicht durch Identität vorgebildet ist. [Fremd]-Werden ist also Mittel und Möglichkeit nicht-identitären Denkens.

[…]

[2]
Übst Du Dich etwa nicht im Fremd-Werden?

[3]
Okay. Hm. Ja. Wir üben das Fremd-Werden, aber wie geht das wirklich? Schwierige Frage. Nächste Frage. Was würdest du dir von einer Fremdheitsforschung versprechen? What do you expect from a research on foreigness / strangeness?

[1]
Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewußtsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen. Momente der abendländischen Geschichte, in denen der Fremde gedacht, in denen er aufgenommen oder zurückgewiesen worden ist, aber in denen innerhalb des Horizonts einer Religion oder Moral auch die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Fremde erträumt werden konnte.

[2]
I-I-I-I Things have never been stranger
I-I-I-I Things are gonna stay strange
I-I-I-I I remember life as a stranger
I-I-I-I But things change

[1]
If you study it enough to actually make a language that describes certain kinds of strangeness. Then you can communicate about an agreed terminology of strangeness. And then you can see how strange that is.

[3]
Wenn es dennoch gelänge, zu Fremdheit entrungenen Erkenntnissen zu kommen, dann könnten wir vielleicht etwas darüber erfahren, wieso wir uns in unserer Welt so fremd sind, dass wir diese Welt und uns mit ihr so gründlich vernichten können. Jetzt hat ein Wir mein Ich kaputt gemacht.

[2]
Gegenfrage: Bedenke ich, bedenken wir in dekonstruktivistischen An- und Einsätzen zu wenig die problematischen Nebenwirkungen von Identitätsdekonstruktionen?

[1]
Wenn ich bedenke … wie lange schon … da frag ich mich … was wohl aus dir geworden wäre … ohne mich … […] Es ist zuviel für einen allein. Andererseits, was nützt es, gerade jetzt den Mut zu verlieren, das sage ich mir auch. Man hätte vor einer Ewigkeit daran denken sollen […].

[2]
Die Welt neu lesen [relire]: ihre disparaten Stücke anders verbinden [relier], ihre Zerstreuung neu verteilen, was eine bestimmte Art und Weise ist, diese Zerstreuung zu orientieren und zu interpretieren, gewiss, aber auch sie zu respektieren, sie neu zusammenzusetzen [remonter], ohne zu glauben, sie dadurch zusammenzufassen [résumer] oder auszuschöpfen.

[1] Und lässt sich Fremdheit wirklich bearbeiten oder erforschen? Is it possible to ‚work‘ on or examine foreigness / strangeness?

[2]
I would prefer not to.

[…]

[2]
Grenzüberschreitungen können dazu dienen, die eigenen Erfahrungen in der Begegnung mit Fremdem zu erweitern und zu relativieren, denn wer nur das Eigene kennt, kennt auch das Eigene nicht. Kenntnis bedarf des Wissens um das Andere: das eigene Andere, das Eigene des Anderen, das Andere des Eigenen. Seine eigene Grenze darf ihm nicht fremd bleiben.

[1]
Das ist eine sehr gute Frage. Ich möchte sie nicht durch eine Antwort verderben.

[…]

[3]
Schade, aber auch gut. Natürlich. Vielen Dank. Was mich jetzt noch interessieren würde ist, wie euch Fremdheit das erste Mal als Begriff begegnet? In which way did you come across the term foreigness / strangeness for the first time?

[2]
Die Frage muss sein: „An welcher Stelle hat etwas mit mir zu tun?“

[3]
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus.

[…]

[1]
Und was bedeutet Fremdheit für deine Arbeit? What does foreigness / strangeness mean for your work?

[2]
Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf,
doch mit italienischer Abstammung wuchs ich hier auf.
Somit nahm ich Spott in kauf
in dem meinigen bisherigen Lebensablauf.
Politiker und Medien berichten ob früh oder spät
von einer „überschrittenen Aufnahmekapazität“.
Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht,
dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät,
somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt,
dass für ihn eine grosse Gefahr entsteht
er sie verliert, sie ihm entgeht,
seine ihm so wichtige deutsche Lebensqualität,

[1]
Pastoral scene of the gallant south
The bulging eyes and the twisted mouth
Scent of magnolias, sweet and fresh
Then the sudden smell of burning flesh

[2]
Mhm. What’s the question? (…) I wish my music was on that show „Stranger Things“. Do you know that show?

[3]
… das Risiko des Antwortens. Dieses hat keine eigene Identität an sich, sondern ist notwendig imperfekt und antwortet auf das Begehren eines anderen, wenn auch nur um der Abspaltung der Rede von sich selbst willen.

[2]
Prozesse der Reproduktion, der Zeugung, der Abstammung, der Wanderung, der Zirkulation, des Austauschs, der Diffusion …

[1]
In den Theatern existiert eine unhinterfragte, eingeübte Praxis.
Was ich […] gelernt habe, ist, vor allem diese Praxis in Frage zu stellen.

[3]
Das Bewußtsein, das aus dem Irrsinnsschmerz auftaucht, ist nicht mehr das frühere, und die gefolterte Sprache, mit der es sich finden muß, ist ihm fremd. … Die nach dieser Sprache fahnden wollen, müßten aber wohl ein beinah vollkommenes Schwinden ihres Selbst-Gefühls, ihres Selbst-Bewußtseins ertragen können, weil ja all die Muster, in denen zu reden, zu erzählen, zu denken und zu dichten wir gewöhnt sind, nicht mehr verfügbar wären. Sie würden wohl erfahren, was es wirklich heißt: die Fassung verlieren.

[1]
Fremdes […] ist nicht bloßer Gegenstand des Verstehens und Interpretierens, sondern deren permanentes Movens.

[…]

#5 In fremden Stimmen

Pressekonferenz & Zwischenspiel

MIT

Arne Vogelgesang, Bernhard Waldenfels, Bridge Markland, Dana Soubh, Franz Kafka, Gayatri Chakravorty Spivak, Georges Didi-Huberman, Henrike Schmidt, Herman Melville, John Cage, Lara Chahal, Marina Miller Dessau, Michelle Bray, Miriam Haller, Susanne Martin und Walter Benjamin u.a.

REIHEN WEISE FREMD | STRANGE IN SERIES #5 – Fragen als eine wichtige Methode der Fremdheitsforschung – Fragen Raum Position – Vorlesung – wer spricht – hierbei geöffnet für Fragen an die Sprechenden…

Diese Veranstaltungen finden statt im Rahmen des Netzwerks Kritische und Weltoffene Universität.

Gefördert von: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

Weitere Informationen:

http://theaterwissenschaft.gko.uni-leipzig.de/index.php?id=323
https://reihenweisefremdstrangeinseries.wordpress.com/ueber/
https://www.facebook.com/reihenweisefremd.strangeinseries.9