Review zu #5 – In fremden Stimmen

„[2]
Zum Geleit oder …
Wie? Wie beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich beginnen? Wie soll ich als ich beginnen? Ist Ich-Sagen hier überhaupt von Belang? Ändert sich etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen? Ändert sich vielleicht sogar etwas, wenn ich danach frage, wie anfangen?

[1]
Anfangen.
Pause.
Oder?
Längere Pause.

[2]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Ich fange jetzt an. Ich. Oder …
Wer?
Doch nicht irgend-wer.
Etwa irgend ein FREMD-Wer?
Längere Pause zum Nachsinnen.

[1]
Ich fange nochmals an. Ich fange anders an. Ich fange jetzt anders an. Jetzt fange ich an.
Dabei habe ich schon längst angefangen.
Fremd-WerdEN.

[…]

[2]
[…] Wie wichtig ist es, sich mit Fremdheit auseinanderzusetzen? How important is it to deal with foreignness / strangeness?

[1]
Southern trees bear strange fruit
Blood on the leaves and blood at the root
Black bodies swinging in the southern breeze
Strange fruit hanging from the poplar trees

[3]
Ich glaube, für mich ist das keine Frage von Wichtigkeit oder Unwichtigkeit, sondern es wird Alltag einfach dadurch, dass ich so oft mitbekomme als Fremd gelesen zu werden in Räumen wo ich der Ansicht bin, dass ich dahin gehöre. Deshalb ist das keine Auseinandersetzung, die ich mir irgendwann gesucht habe, weil das Thema spannend ist. Es ist ein universales Thema, das immer irgendwie mitschwingt.

[2]
Politisch wichtig: Weil Fremdheit diskursiv in der Regel so konstruiert ist, dass sie mit Abwehr konnotiert ist. Aber in dem, was ich tue, arbeite ich mit dem Begriff normalerweise nicht. Mich beschäftigen Praxen, Körper, Improvisation, Tanz. Und da geht es immer wieder um Sachen wie: was kann ich wahrnehmen, auf was richte ich meine Aufmerksamkeit, was kann ich mit dem tun, was in meine bewusste Wahrnehmung eintritt. Man könnte sagen, es geht gerade nicht darum zu befragen oder festzulegen, ob oder wie fremd das ist, was ich gerade in mir und um mich wahrnehme. Das Interessante ist stattdessen, was ich mir überhaupt sinnlich zugänglich machen kann, was ich imaginieren oder erinnern oder gedanklich differenzieren kann. Das ist dann das Material, mit dem ich künstlerisch umzugehen versuche. Das ist, wie wahrscheinlich jeder künstlerische Prozess oder wie überhaupt jeder längere intensive Prozess, ein komplexes Tun und eine vielschichtige Erfahrung, in dem ich mir immer wieder Fremdes vertrauter mache, und Vertrautes fremd mache. Ein dauerndes Zooming-in und Zooming-out, und Perspektivwechsel.

[1]
Ganz wichtig. Wichtig, wenn man Frieden mag. Wichtig, um mit Menschen kommunizieren und sich unterhalten zu können.

[3]
Das [Fremd]-Werden artikuliert Antworten auf die Frage, was nach dem Subjekt kommt, und beschreibt dafür weder ein Ergebnis oder einen erreichten Zustand noch eine nachahmende Annäherung an etwas Bestimmtes. Stattdessen zielt das [Fremd]-Werden auf eine unbestimmte Bewegung der Deterritorialisierung: Das Subjekt verlässt den Ort der Identität und faltet sich in eine nomadische, rhizomatische Zone, in der Differenz nicht durch Identität vorgebildet ist. [Fremd]-Werden ist also Mittel und Möglichkeit nicht-identitären Denkens.

[…]

[2]
Übst Du Dich etwa nicht im Fremd-Werden?

[3]
Okay. Hm. Ja. Wir üben das Fremd-Werden, aber wie geht das wirklich? Schwierige Frage. Nächste Frage. Was würdest du dir von einer Fremdheitsforschung versprechen? What do you expect from a research on foreigness / strangeness?

[1]
Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewußtsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen. Momente der abendländischen Geschichte, in denen der Fremde gedacht, in denen er aufgenommen oder zurückgewiesen worden ist, aber in denen innerhalb des Horizonts einer Religion oder Moral auch die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Fremde erträumt werden konnte.

[2]
I-I-I-I Things have never been stranger
I-I-I-I Things are gonna stay strange
I-I-I-I I remember life as a stranger
I-I-I-I But things change

[1]
If you study it enough to actually make a language that describes certain kinds of strangeness. Then you can communicate about an agreed terminology of strangeness. And then you can see how strange that is.

[3]
Wenn es dennoch gelänge, zu Fremdheit entrungenen Erkenntnissen zu kommen, dann könnten wir vielleicht etwas darüber erfahren, wieso wir uns in unserer Welt so fremd sind, dass wir diese Welt und uns mit ihr so gründlich vernichten können. Jetzt hat ein Wir mein Ich kaputt gemacht.

[2]
Gegenfrage: Bedenke ich, bedenken wir in dekonstruktivistischen An- und Einsätzen zu wenig die problematischen Nebenwirkungen von Identitätsdekonstruktionen?

[1]
Wenn ich bedenke … wie lange schon … da frag ich mich … was wohl aus dir geworden wäre … ohne mich … […] Es ist zuviel für einen allein. Andererseits, was nützt es, gerade jetzt den Mut zu verlieren, das sage ich mir auch. Man hätte vor einer Ewigkeit daran denken sollen […].

[2]
Die Welt neu lesen [relire]: ihre disparaten Stücke anders verbinden [relier], ihre Zerstreuung neu verteilen, was eine bestimmte Art und Weise ist, diese Zerstreuung zu orientieren und zu interpretieren, gewiss, aber auch sie zu respektieren, sie neu zusammenzusetzen [remonter], ohne zu glauben, sie dadurch zusammenzufassen [résumer] oder auszuschöpfen.

[1] Und lässt sich Fremdheit wirklich bearbeiten oder erforschen? Is it possible to ‚work‘ on or examine foreigness / strangeness?

[2]
I would prefer not to.

[…]

[2]
Grenzüberschreitungen können dazu dienen, die eigenen Erfahrungen in der Begegnung mit Fremdem zu erweitern und zu relativieren, denn wer nur das Eigene kennt, kennt auch das Eigene nicht. Kenntnis bedarf des Wissens um das Andere: das eigene Andere, das Eigene des Anderen, das Andere des Eigenen. Seine eigene Grenze darf ihm nicht fremd bleiben.

[1]
Das ist eine sehr gute Frage. Ich möchte sie nicht durch eine Antwort verderben.

[…]

[3]
Schade, aber auch gut. Natürlich. Vielen Dank. Was mich jetzt noch interessieren würde ist, wie euch Fremdheit das erste Mal als Begriff begegnet? In which way did you come across the term foreigness / strangeness for the first time?

[2]
Die Frage muss sein: „An welcher Stelle hat etwas mit mir zu tun?“

[3]
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus.

[…]

[1]
Und was bedeutet Fremdheit für deine Arbeit? What does foreigness / strangeness mean for your work?

[2]
Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf,
doch mit italienischer Abstammung wuchs ich hier auf.
Somit nahm ich Spott in kauf
in dem meinigen bisherigen Lebensablauf.
Politiker und Medien berichten ob früh oder spät
von einer „überschrittenen Aufnahmekapazität“.
Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht,
dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät,
somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt,
dass für ihn eine grosse Gefahr entsteht
er sie verliert, sie ihm entgeht,
seine ihm so wichtige deutsche Lebensqualität,

[1]
Pastoral scene of the gallant south
The bulging eyes and the twisted mouth
Scent of magnolias, sweet and fresh
Then the sudden smell of burning flesh

[2]
Mhm. What’s the question? (…) I wish my music was on that show „Stranger Things“. Do you know that show?

[3]
… das Risiko des Antwortens. Dieses hat keine eigene Identität an sich, sondern ist notwendig imperfekt und antwortet auf das Begehren eines anderen, wenn auch nur um der Abspaltung der Rede von sich selbst willen.

[2]
Prozesse der Reproduktion, der Zeugung, der Abstammung, der Wanderung, der Zirkulation, des Austauschs, der Diffusion …

[1]
In den Theatern existiert eine unhinterfragte, eingeübte Praxis.
Was ich […] gelernt habe, ist, vor allem diese Praxis in Frage zu stellen.

[3]
Das Bewußtsein, das aus dem Irrsinnsschmerz auftaucht, ist nicht mehr das frühere, und die gefolterte Sprache, mit der es sich finden muß, ist ihm fremd. … Die nach dieser Sprache fahnden wollen, müßten aber wohl ein beinah vollkommenes Schwinden ihres Selbst-Gefühls, ihres Selbst-Bewußtseins ertragen können, weil ja all die Muster, in denen zu reden, zu erzählen, zu denken und zu dichten wir gewöhnt sind, nicht mehr verfügbar wären. Sie würden wohl erfahren, was es wirklich heißt: die Fassung verlieren.

[1]
Fremdes […] ist nicht bloßer Gegenstand des Verstehens und Interpretierens, sondern deren permanentes Movens.

[…]

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